Autor: Frank Bruns
Die Menschen in Europa neigen dazu, die ganze muslimische Welt über einen Kamm zu scheren. Gerade im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingsdiskussion und den Terroranschlägen von Paris wird dies offensichtlich. Immer wieder werden Islam und Islamismus gleichgesetzt und alle muslimischen Länder in einen Topf geworfen, obwohl sie deutliche kulturelle Unterschiede aufweisen. Passend dazu bekommen wir überwiegend die Bilder aus den schlimmsten Unrechtsstaaten präsentiert, die sich irrigerweise auf den Islam berufen. Kreuzigungen, Steinigungen und Enthauptungen in Saudi-Arabien oder die unterdrückende Schreckensherrschaft der Taliban in Afghanistan oder des Islamischen Staats (IS) im Irak und Syrien. Terror, Gewalt, Angst und Schrecken. Das sind die vorherrschenden Themen. Nach positiver Berichterstattung muss man förmlich suchen. Nicht weil es sie nicht gibt, sondern weil sie kein mediales Interesse erregt. Kein Wunder also, dass vieles, was wir über den Islam und die islamischen Staaten zu wissen glauben, negativ behaftet ist.
Es war eine sehr kluge Entscheidung des Friedensnobelpreiskomitees, die Auszeichnung im Oktober 2015 an das "tunesische Quartett für den nationalen Dialog" zu verleihen. So wurde die mediale Aufmerksamkeit mal wieder kurz auf positive Entwicklungen in der muslimischen Welt gerichtet. Der harte, aber erfolgreiche Kampf um die Entwicklung einer pluralistischen Verfassung in Tunesien war lange Jahre jedoch nicht mehr als eine Randnotiz im medialen Weltgeschehen. Sie verankerte verfassungsmäßig Glaubensfreiheit, die Gleichstellung von Mann und Frau und führte sogar eine Art Frauenquote für politische Ämter ein.
Wir differenzieren wie selbstverständlich zwischen europäischen Staaten und erkennen an, dass jedes Land seine spezifische Kultur mit all ihren Eigenheiten und Merkwürdigkeiten hat. Wir kämen niemals auf die Idee, Polen mit Italien gleichzusetzen, obwohl beide stark katholisch geprägt sind. Wenn es um die muslimische Welt geht, tun wir aber so, als wäre ein Land wie das andere, als gäbe es keine kulturellen Unterschiede und jeder Bewohner ticke gleich. Wir erkennen Muslimen damit ihre Individualität ab und zeigen, dass wir es nicht für nötig halten, uns mit ihrer kulturellen Komplexität im Detail auseinanderzusetzen.
Der Religionswissenschaftler Reza Aslan erläutert auf CNN die Frage, ob der Islam eine gewaltfördernde Religion ist. Redegewandt stellt er heraus, dass islamische Länder sehr differenziert betrachtet werden müssen.
Diese Art des ignoranten und arroganten Umgangs mit fremden Kulturen ist typisch für die von Rassismus und Imperialismus geprägte westliche Zivilisationsgeschichte. Der Westen hat eine Art Hierarchie der Wertigkeit von Menschen und Völkern eingeführt und auf die ganze Welt übertragen. Je nach Bedarf und Epoche wurde Religion, Hautfarbe oder soziale und geografische Herkunft zum Kriterium für die Einteilung der Menschheit. So standen beispielsweise Christen über Juden, Muslimen und Heiden, weiße Europäer über Indern, schwarzen Afrikanern und den amerikanischen Ureinwohnern, aber auch Adlige über dem einfachen Volk.
Aus dieser Hierarchievorstellung leiteten die Europäer das Selbstverständnis ab, der verantwortliche Vormund für die Welt zu sein. Man fühlte sich berechtigt und sogar verpflichtet ("Die Bürde des weißen Mannes"), die Vorzüge der eigenen Zivilisation und des Fortschritts auf der Erde zu verbreiten. Am Ende jedoch diente sie all zu oft zur Legitimation von Eroberung, Herrschaft und Ausbeutung. Jede Bevölkerung, die unter europäische Kolonialherrschaft geriet, sei es in Amerika, Asien oder Afrika, hat leidvolle Erfahrung mit diesem westlichen Sendungsbewusstsein machen müssen.
"Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der ‚race‘ der Weißen. Die gelben Inder haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind tiefer, und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften."
Immanuel Kant (1724-1804), einer der bedeutendsten abendländischen Philosophen der Aufklärung
Noch heute stecken diese Vorstellungen unterschwellig oder in der Form von Kulturrassismus in vielen Köpfen. In Europa versteht man sich als hochentwickelte Gesellschaft und betont die Diversität seiner Einwohner. Gleichzeitig wird anderen Gesellschaften dieser Status eher nicht zugestanden. So betrachten wir die gesamte muslimische Welt im Vergleich zur europäisch-westlichen als rückständig und in vielen Belangen moralisch zweifelhaft. Diese Sichtweise ist allerdings zu undifferenziert und wird der Gesamtheit des islamischen Kulturraums bei weitem nicht gerecht.
Wussten Sie zum Beispiel, dass das bevölkerungsmäßig größte muslimische Land der Welt Indonesien ist? Wussten Sie, dass in den letzen 25 Jahren bisher acht weibliche Staatsoberhäupter in islamischen Staaten regierten? Wussten Sie, dass weltweit nur ca. 15% aller Muslime Araber sind? Wussten Sie, dass es keine zentrale Autorität im Islam gibt, die bestimmen kann, wie der Koran auszulegen ist, so dass im Grunde jeder Imam seine eigene predigen kann? Wussten Sie, dass es hunderte verschiedener Strömungen im Islam gibt, darunter große und kleine, bedeutende und unbedeutende, die alle ihre eigene Sicht der Dinge vertreten?
Wenn Sie die meisten Fragen mit Nein beantworten müssen, dann geht es Ihnen so wie mir.
Das zeigt, dass wir uns durchaus einmal klar machen sollten, wie wenig wir über den Islam und dessen Ausprägungen tatsächlich wissen. Deshalb warne ich vor einer stark vereinfachenden Reduktion des Islams auf Terror und Unterdrückung. Man begibt sich sonst blindlings auf politisches, kulturelles und soziales Glatteis, auf dem man schneller ausrutscht, als einem lieb sein kann.
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Manchmal ist die Welt doch komplizierter, als man zuerst denkt.http://www.frankandfree.de/2015/11/22/ignoranz-rassismus-und-islam/#FrankAndFree #Islam #EinKammReichtFürAlle
Posted by FRANK AND FREE on Sonntag, 22. November 2015
Europa liebt die Toten
Die Festung Europa ist real und kostet jeden Tag unschuldigen Menschen das Leben. Männer. Frauen. Kinder. Das Meer tötet alle gleich!
Das kann und darf so nicht weitergehen, wenn wir als Europäer in Zukunft nicht in Schande auf unsere menschenverachtende Politik zurückblicken wollen.
Arbeiterkinder und die Illusion der Chancengleichheit
Die Erkenntnis, dass sich soziale Ungerechtigkeiten im Wesentlichen auf das Vorhandensein von gesellschaftlichen Privilegien zurückführen lassen, klingt sicher ziemlich unspektakulär.
Dennoch lag für mich die Schwierigkeit darin, zu verstehen und zu akzeptieren, dass Privilegien bei uns tatsächlich existieren und reale Auswirkungen auf unsere Leben haben.
Konflikt der Kulturen?
Immer wieder hört man Stimmen, die die Zuwanderung durch die Flüchtlingskrise sehr kritisch sehen. Die ankommenden Menschen stammen aus einem völlig fremden Kulturkreis, heißt es. Sie seien gewissermaßen inkompatibel mit unserer Gesellschaft. Wie sollen sie sich hier jemals erfolgreich integrieren? In Wahrheit sind es oft die Deutschen, die nicht zulassen, dass Migranten sich integrieren.
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